Julian Gemperli
misst sich bei den WorldSkills mit anderen Metallbauern.
Wie die künftigen Gemeindestrukturen in Appenzell Ausserrhoden aussehen werden, entscheidet sich am Sonntag. adobestock
Am Sonntag stimmen die Ausserrhoderinnen und Ausserrhoden darüber ab, wie ihr Kanton, beziehungsweise die Gemeindestruktur künftig aussehen soll.
Abstimmung Bei der Abstimmung sind drei Szenarien möglich: Die Bevölkerung nimmt den Gegenvorschlag des Regierungsrates (3-5 Gemeinden) oder die Eventualvorlage (Fusionen würden möglich gemacht, sind aber nicht zwingend) an oder es resultiert ein doppeltes Nein. Das möchten weder Befürworter des Gegenvorschlags noch jene der Eventualvorlage. Dass etwas passieren müsse, finden beide Seiten. In den vergangenen Wochen wurden im gesamten Kanton Podien organisiert, um ausreichend über die Abstimmung zu informieren. Regierungsrätin Katrin Alder war bei einigen zu Gast, um die Abstimmungsvorlage vorzustellen und sich den Fragen des Publikums zu stellen. Es seien angeregte, interessante und lebendige Diskussionen entstanden. «Zwischendurch wurden die Diskussionen auch einmal emotional. Die vielen Begegnungen und der vertiefte Austausch mit der Bevölkerung waren jedoch sehr wertvoll», sagt Regierungsrätin Alder. Zudem hätten offene Fragen direkt beantwortet werden können. Für viele sei nachvollziehbar, dass es Veränderungen braucht. Dass die Bevölkerung gewisse Sorgen und Ängste hat, wurde unter anderem in Leserbriefen sichtbar. «Es gab natürlich auch Fragen zur Identität der Dörfer, dem zukünftigen Vereinsleben, zum Erhalt von Infrastruktur und zur zukünftigen politischen Organisation in den neuen Gemeinden. Viele Fragen konnten diskutiert und beantwortet werden, aber natürlich nicht alle. Einzelne Antworten werden sich erst im Laufe der Zeit und unter Einbezug aller Beteiligten ergeben», so Alder. Im Vorfeld fiel oft der Satz, dass der Gegenvorschlag der Regierung «undemokratisch» sei, da Gemeinden gezwungen würden, zu fusionieren. Diesen Zwang sieht Alder nicht.
«Gemeindestrukturen werden seit jeher auf kantonaler Ebene, respektive in der Kantonsverfassung festgelegt – und dies passiert auch in diesem Fall. Die Ausserrhoder Bevölkerung entscheidet am kommenden Sonntag und der Wille der Mehrheit wird umgesetzt. So wie es in einer Demokratie gelebt wird. Dies bedeutet für mich keinen Zwang.» Auch die Eventualvorlage würde Fusionen ermöglichen. Weshalb sieht der Regierungsrat diese als weniger ideal an? «Der erste Unterschied der Varianten ist der zeitliche Aspekt. Beim Gegenvorschlag wird die Strukturreform in rund fünf Jahren abgeschlossen sein. Bei der Eventualvorlage ist unbekannt, wann erste Gemeinden fusionieren wollen. Dies könnte zu einem 'Flickenteppich' im Kanton und zu einem unnötig langwierigen, jahrzehntelangen Prozess führen», sagt Alder.
Der zweite wichtige Unterschied bestehe darin, dass beim Gegenvorschlag alle Gemeinden involviert würden. «Bei der Eventualvorlage hingegen ist unklar, ob alle Gemeinden irgendwann in den Prozess involviert werden, respektive ob am Ende nicht Gemeinden allein übrigbleiben, was sehr zu bedauern wäre», meint die Regierungsrätin. Sollte der Gegenvorschlag der Regierung angenommen werden, würden zunächst die Projektplanung und der Projektaufbau vorangetrieben werden. «Danach werden in verschiedenen Phasen Modelle der neuen Gemeinden entwickelt, entsprechende Gesetze erarbeitet und am Schluss steht natürlich die Umsetzung des Projekts. All dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit Gemeindebehörden und Verwaltungsangestellten aus Kanton und Gemeinden», so Alder.
Auch die Bevölkerung würde punktuell miteinbezogen werden. Neben dem Mitwirken bei der Entwicklung neuer Gemeindestrukturen gäbe es im Rahmen von Vernehmlassung, Volksdiskussion oder möglichem Referendum weitere Wege zur Mitsprache. Wird die Eventualvorlage angenommen, wird ein entsprechendes Fusionsgesetz ausgearbeitet und sollten zwei Gemeinden fusionieren wollen, müssten Stimmbürgerschaften beider Gemeinden einverstanden sein. Ist dies der Fall, unterstützt der Kanton den Prozess finanziell, in welchem Ausmass muss auch im Gesetz definiert werden.
Auch für die Regierungsrätin wäre ein doppeltes Nein das unbefriedigendste Szenario. «Das wäre ausserordentlich bedauerlich, zumal allgemein anerkannt ist, dass es Veränderungen braucht. Ein doppeltes Nein würde zudem sämtliche Initiativen und Vorarbeiten, welche bis heute gemacht wurden, auf Eis legen.» In ihren Augen ist der Kanton bereit für diese zukunftweisende Abstimmung. Seit Anfang September konnte sich die Bevölkerung an Veranstaltungen, in Printmedien, Fernsehen, Radio, sozialen Medien, auf der Webseite des Kantons wie auch über die Abstimmungsunterlagen umfassend über die Vorlage informieren. «Es war dem Regierungsrat ein grosses Anliegen, dem Volk Informationsmöglichkeiten zu bieten. Entsprechend hofft der Regierungsrat auch auf eine hohe Stimmbeteiligung und ruft das Stimmvolk auf, von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen», so Alder. Zeichnete sich an den Podien eine Tendenz ab, wie sich Ausserrhoden entscheiden könnte? «Es wäre verfehlt, aufgrund von Podien eine Einschätzung abzugeben. Das Feld von Befürwortern des Gegenvorschlags wie auch der Eventualvorlage ist gross. Stimmen für ein doppeltes Nein habe ich jedoch wenig gehört», sagt Alder.
Jean-Claude Kleiner, Gemeindeberater und ehemaliger FDP-Kantonsrat, hat nach wie vor kein Verständnis für den Gegenvorschlag der Regierung. 2020 hat er mit einem Komitee die Initiative «Selbstbestimmte Gemeinden» eingereicht, welche vom Regierungsrat abgelehnt wurde. «Der Gegenvorschlag widerspricht dem föderalistischen Prinzip, dass Gemeinden selbst über ihre Eigenständigkeit beziehungsweise über eine Fusion mit einer anderen Gemeinde bestimmen können müssen. Es kommt zu Zwangsfusionen, was mit dem demokratischen Denken nicht vereinbar ist», so Kleiner. Zudem würden seiner Meinung nach mit den geplanten 3-5 Gemeinden allgemeine Fusionsprinzipien verletzt. «Bei erfolgversprechenden Zusammenschlüssen bilden Gemeinden oft eine geografische, siedlungspolitische, wirtschaftliche oder kulturelle Einheit. Mit dem Modell der Regierung werden Gemeinden vereint, die nichts miteinander zu tun haben», sagt Kleiner. Seiner Ansicht nach entstehe so ein Flickenteppich, kein Gemeinwesen. Die Eventualvorlage beinhalte die Forderung, dass Gemeinden selbst über eine Fusion bestimmen können. Sie nehme auch die Forderung auf, dass ein Fusionsgesetz, geschaffen sowie finanzielle und administrative Unterstützung bereitgestellt werden müssten. Es könne allerdings sein, dass Gemeinden nicht fusionieren wollten. «Doch sind Gemeindefusionen tatsächlich notwendig? Der Kanton verfügt im nationalen Umfeld über sehr gesunde Gemeindestrukturen. Wir haben keine Kleinstgemeinden. Zudem sind alles Einheitsgemeinden. Das heisst, dass wir nicht wie in anderen Kantonen über eigenständige Schul-, Bürger- und Fürsorgegemeinde verfügen. Unsere Gemeinden sind schlank und intakt. Die Behörden und Verwaltungen lassen sich noch problemlos bestellen. Die Panikmache der Regierung ist fehl am Platz», so Kleiner.
Bei erfolgreichen Gemeindefusionen komme zusammen, was zusammengehören wolle. «Sie entstehen auf freiwilliger Basis und sind von der Bevölkerung initialisiert und getragen. Um dies auch in Ausserrhoden möglich zu machen, hat der Kanton die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Eine Kommission der Regierung hat dazu die Grundlagen bereits vor Jahren optimal vorbereitet. Sie gingen in einer grossen Schublade vergessen», sagt Kleiner.
Stefanie Rohner
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