Laura Bucher
Die Revision des Behindertengesetzes soll Barrieren beseitigen.
Völkerschauen hatten vor hundert Jahren ihre Hochblüte. z.V.g.
Vor hundert Jahren hatten die Völkerschauen auch in St.Gallen ihre Hochblüte. Sie lockten viel Publikum an und wurden für die Veranstalter finanziell zu einem grossen Erfolg. Kritische Stimmen gab es kaum. Dies zeigt auch eine Masterarbeit an der Pädagogischen Hochschule (PHSG) von Achim Hoop, der die Berichterstattung zu den St.Galler Völkerschauen analysierte.
Völkerschauen Den Veranstaltern ging es gemäss der Untersuchung von Achim Hoop nicht primär darum, Ideologien zur Überlegenheit der europäischen Rasse oder Kolonialpropaganda zu verbreiten, auch wenn rassistische Klischees genutzt oder in vielen Fällen gefördert wurden. Im Vordergrund stand das rasche Geldverdienen. Eine kritische Beurteilung von Völkerschauen setzte aus der Sicht der Verurteilung auch des indirekten Rassismus erst vor rund 50 Jahren ein. Heute werden die damaligen Völkerschauen auch als «Menschen-Zoos» apostrophiert.
Wie an vielen anderen Orten begannen die Völkerschauen in St.Gallen mit Gastspielen von Carl Hagenbeck (1844 bis 1913) und seiner Halbbrüder. Vor 125 Jahren waren in der Konzerthalle St.Leonhard fünf «Indische Fakire», genannt auch «Hagenbecks Wundermenschen», zu sehen. Im gleichen Jahr gastierte in St.Gallen eine Togo-Truppe ausschliesslich aus Frauen. Die 35 «Fettischmädchen» tanzten, gaben Konzerte und huldigten einem König. Die Halbbrüder Hagenbecks organisierten 1905 die wohl grösste Völkerschau in St.Gallen. Die Schau mit dem Namen «Indien» umfasste 75 Personen mit sechs Elefanten, zwölf Zebus, drei Lippenbären und zwei Mysoreochsen. Auf dem Brühl wurde ein «Indiendorf» mit Basar, Küche und Schule aufgestellt. Das Publikum konnte auch auf den Elefanten reiten. Insgesamt listete Rea Brändle in ihrem Werk «Wildfremd, hautnah» in der Zeit von 1893 bis 1905 17 Völkerschauen in St.Gallen auf.
Die Hochphase der Völkerschauen fiel in St.Gallen mit einer wirtschaftlichen Blütephase, mit dem Stickereiboom, zusammen. Das gesteigerte Interesse der Bevölkerung an fremden Kulturen, begünstigt durch den von St.Gallen aus betriebenen Welthandel, könnte eine Rolle gespielt haben. Die hohe Kaufkraft dürfte dazu geführt haben, dass die Veranstalter St.Gallen aufsuchten, weil sie hier gute Umsätze erwarten konnten. Fast nackte Tänzerinnen, die in anderem Zusammenhang kaum so auftreten durften, erhöhten die Attraktivität der Vorführungen und spülten Geld in die Kassen der Veranstalter. Hoops Analysen von damaligen Zeitungsberichten ergeben, dass die Vorstellungen eher einer Zirkusvorstellung glichen als dem, was man sich unter Sitten und Gebräuchen einer fremden Kultur vorstellt. Um möglichst viel Unterhaltung zu bieten, wurden dichte Programme geschaffen. Der Bildungsaspekt blieb im Hintergrund, wurde aber in der Werbung in den Vordergrund gerückt.
In den 30er-Jahren verschwanden die Völkergruppen langsam, wohl weil in den Zeitungen Reportagen über andere Völker erschienen, Völkerkunde-Museen entstanden und in den Kinos Filme über fremde Kulturen gezeigt wurdn, wobei die rassistischen Tendenzen vielfach spürbar blieben. Hoop geht von einer Übersättigung und dem Aufkommen von Menschenschutzvereinen als Ursache des Rückgangs aus. Trotz der Konkurrenz durch den Film konnten noch bis in die 60er-Jahre Völkerschauen veranstaltet werden, wobei die Kritik in den Medien eher verhalten blieb. Den Rahmen dazu boten auch Zirkusse.
Die Inszenierungen müssen unter dem kommerziellen Blickwinkel gesehen werden, der natürlich ausschlaggebend war. In den Vorschauen gab es zwar nur wenige direkte rassistische Herabminderungen. Vielmehr wurde versucht, möglicher Kritik durch Sympathiebezeugungen und mit dem Hinweis auf Bildungsabsichten entgegenzuwirken. Wie Hoop aber bilanziert, wurde bewusst eine «zurückgebliebene Zivilisationsstufe» inszeniert. Es zeigten sich kolonialistische Denkweisen und Umgangsformen bei den Völkerschauen, kritisiert wurden diese in den Medien aber nicht. So wurden in einem Text zur Hottentotten-Ausstellung in St.Gallen von 1887 farbige Menschen als den Affen näher verwandt dargestellt. Im «St.Galler Tagblatt» war in einer Besprechung einer afrikanischen Schau zu lesen: «Ganz reizend die beiden kleinen Mädchen, obwohl sie, wie die ganze Gesellschaft, ihre Ähnlichkeit mit dem Affengeschlechte nicht verleugnen.»
Von Franz Welte
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