Kartrin Corazza
veröffentlicht unter dem Künstlernamen Katy O. ihr erstes Soloalbum.
Spinnen haben in der hiesigen Kultur einen schwierigen Stand. Doch für Karin Urfer, Kuratorin für wirbellose Tiere im Naturmuseum St.Gallen, sind sie faszinierende Lebewesen. Ihre Leidenschaft für die kleinen Jäger und ihre Fähigkeit, dieses oft ungeliebte Thema einem breiten Publikum zugänglich zu machen, zeichnet sie aus.
Arachnoiden Karin Urfer pendelt zwischen Bern und St.Gallen, wo sie im Naturmuseum St.Gallen als Kuratorin für Wirbellose tätig ist. Was viele Menschen abschreckt, fasziniert sie seit Jahren: die Welt der Spinnen. «Alles an diesen Tieren hat mich von Anfang an fasziniert», erzählt Urfer. Ihre Begeisterung für die winzigen Details, die man oft nur unter einem Binokular erkennen kann, weckte ihr wissenschaftliches Interesse und bald widmete sie ihre akademische Laufbahn diesen erstaunlichen Tieren.
Auf die Frage, welche Spinnenart sie am meisten beeindruckt, antwortet Urfer ohne Zögern: «Je kleiner, desto besser.» Besonders Zwergspinnen der Familie Linyphiidae haben es ihr angetan. Diese winzigen Tiere fordern ein hohes Mass an Beobachtungsgabe und technischem Equipment, um ihre komplexen Strukturen sichtbar zu machen. Es ist die Schönheit im Kleinen, die Urfer fasziniert und die auch das Publikum immer wieder in Staunen versetzt, wenn es die Tiere durch die Augen der Expertin sieht. Doch wie bringt man ein solch komplexes und oft unbeliebtes Thema wie Spinnen einem breiten Publikum näher? «Wissen ist der Schlüssel», betont Urfer. Sie begegnet der weitverbreiteten Angst vor Spinnen, indem sie aufklärt und Mythen entkräftet. Eines dieser Missverständnisse ist die Vorstellung, dass Winkelspinnen aus dem Abfluss kommen. In Wahrheit fallen sie ins Lavabo, und weil ihnen an den Füssen die Haftpolster fehlen, können sie nicht wieder herausklettern. Solche Geschichten verhelfen den Tieren zu einem positiveren Image, glaubt Urfer.
Eine der hartnäckigsten Mythen über Spinnen ist die Vorstellung, sie könnten aus dem Staubsauger wieder herauskriechen. «Das ist absoluter Blödsinn», stellt Urfer klar. Die Tiere sterben im Staubsauger, da sie die extreme Umgebung nicht überleben können. Ebenso hält sich der Irrglaube, dass Spinnen in Mitteleuropa gefährliche Gifte haben. Dabei sind fast alle Spinnenarten giftig, aber ihr Gift ist speziell für Insekten ausgelegt und in unseren Breitengraden für Menschen meist harmlos. Spinnen sind für das ökologische Gleichgewicht von grosser Bedeutung. Sie ernähren sich hauptsächlich von Insekten und tragen so zur Regulierung der Insektenpopulation bei. Eine Studie schätzt, dass Spinnen weltweit zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen Insekten pro Jahr vertilgen. «Zum Vergleich: Der weltweite menschliche Fleischkonsum liegt bei 350 Millionen Tonnen», fügt Urfer hinzu. Spinnen sind also bedeutende Jäger in ihren Ökosystemen und spielen eine Schlüsselrolle in der Erhaltung des Gleichgewichts. Nebst ihrer Rolle im Ökosystem bieten Spinnen auch faszinierende Forschungsfelder. Besonders die Spinnseide und das Spinnengift sind von wissenschaftlichem Interesse. «In Hannover wird derzeit erforscht, wie Spinnseide zur Regeneration von menschlichen Nervenzellen und Hautgewebe beitragen kann», berichtet Urfer. Auch die Entwicklung von Schmerzmitteln auf Basis von Spinnengift ist ein aktuelles Forschungsthema.
Spinnen sind nicht nur aufgrund ihrer Jagdfähigkeiten faszinierend. Sie bewegen sich durch eine Kombination aus Muskelkraft und Hydraulik – eine einzigartige Technik im Tierreich. Ihre Fähigkeit, Spinnseide zu spinnen, ermöglicht es ihnen, verschiedenste Lebensräume zu besiedeln. Einige Arten lassen sich sogar mithilfe von Seidenfäden durch die Luft tragen und können dabei bis zu 5'000 Meter Höhe erreichen. «Es wurden schon Spinnen auf Schiffen gefunden, die sich hunderte Kilometer entfernt von der nächstgelegenen Küste befanden», erzählt Urfer beeindruckt. Besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt seit einigen Jahren die Kräuseljagdspinne, die in den Medien oft als «Nosferatu-Spinne» bezeichnet wird. «Ich finde diesen Namen schrecklich negativ», so Urfer, «ihr negatives Image als gefährliches Tier ist unbegründet.»
Die Kräuseljagdspinne, die ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammt, hat sich durch den Klimawandel auch in der Schweiz und sogar in St.Gallen angesiedelt. Ihr Verhalten und ihre Anpassungsfähigkeit haben für viele Schlagzeilen gesorgt, doch Urfer stellt klar: «Es gibt keinen Grund, sich vor ihr zu fürchten. Ein Biss ist sehr selten und kaum schlimmer als ein Insektenstich.» Gebietsfremde Arten gelangen oft über den globalen Handel in die Schweiz. «Die meisten dieser eingeschleppten Spinnen sterben in unseren klimatischen Bedingungen, aber einige wenige Arten, wie die Amerikanische Zwergspinne, haben sich erfolgreich etabliert.» Ob diese Spinnen langfristig Schaden anrichten, sei unklar. Das Thema der invasiven Arten ist komplex und bedarf intensiver Forschung, erklärt die Spezialistin.
Spinnen sind seit jeher Gegenstand von Mythen und Schauermärchen. «Viele dieser Geschichten stammen aus dem Mittelalter», erklärt Urfer, «und haben oft mit Pest, Tod und Teufel zu tun.» Diese tief verwurzelten Ängste tragen dazu bei, dass Spinnen auch heute noch als bedrohlich wahrgenommen werden. Doch Urfer arbeitet kontinuierlich daran, diese Ängste abzubauen und das wahre, faszinierende Bild der Spinnen zu vermitteln. «Es gibt noch so viel zu entdecken», sagt sie. Regelmässig werden neue Spinnenarten entdeckt und die Forschung über die Bedeutung dieser Tiere für die Ökosysteme steht erst am Anfang. «Spinnen sind kein Grund für Angst – sondern für Faszination», resümiert die Expertin.
Benjamin Schmid
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